Mein Kommentar zu einem Artikel von Prof. Dr. Clemens Albrecht (Parallelstaat), nachzulesen unter www.soziologie.de/blog.
Respekt,
Herr Prof. Albrecht. Das ist ein überzeugendes Beispiel für die
mögliche Soziologie und eine wunderbare Demonstration der Relativierung
relativistischen Puddings.
Aus dem schildbürgerhaften Versuch, den
Pudding an die Wand zu nageln, wird unversehens ein eindeutiger Akt mit
einem Baseballschläger, der eine Persönlichkeitsstruktur in eine
„Matschbirne“ verwandelt und konstruktivistische Perspektiven auf das
Ergebnis hin drastisch reduziert.
Wenn die Soziologie diese Eindeutigkeit zielgerichtet immer zu erreichen versuchte, stünde die nächste Blütezeit bevor.
Die
Anschlussmöglichkeit an den von mir angedachten „methodologischen
Strukturalismus“ und die „Soziologie des Unbewussten“ ist
offensichtlich. In Verbindung mit den kulturell-religiösen Strukturen
des osmanisch türkischen Hintergrundes lässt sich die Prägung der
VerhaltensVERTEILUNG türkisch-stämmiger Jugendlicher und ihr Konflikt
mit der kuturell-religiösen Struktur Deutschlands plausibler
SOZIOLOGISCH begreifen als mit der psychologisierenden, dominierenden
Soziologie.
Andererseits deutet Ihr Begriff des „reziproken
Austauschs“ auf eine ideologieverdächtige Abstraktionslage hin, die das
Wesen sozialer Beziehungen und Strukturen begrifflich verschleiert. Die
Folter kann man natürlich auch als den reziproken Austausch zwischen
einem sadistisch veranlagten Folterer und der Beglückung eines
masochistischen Gefolterten begreifen. Aber ob damit das Wesen dieser
Beziehung erfasst wird, ist doch fraglich.
Verdammt noch mal! Ich
kann es mir einfach nicht abgewöhnen, Wesentliches und Unwesentliches
zu unterscheiden, wahrscheinlich eine Frage meines fortgeschrittenen
Alters. Ich hoffe, Sie sehen mir das nach.
Schon Max Weber war da ein Stück weiter:
§16.
M a c h t
bedeutet jede Chance,
innerhalb einer sozialen Beziehung den
eigenen Willen auch gegen Widerstreben
durchzusetzen, gleichviel worauf diese
Chance beruht. ”
Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft,
Tübingen 1972, 5. Aufl. (1. Auflage 1921)
Schon auf der Ebene basaler Sozialität (Beziehungssstruktur) spielt Macht die entscheidende Rolle.
In
dem Moment, wo zwei Menschen sich das erste Mal ansehen, passiert eine
Verselbständigung der Beziehung, die Macht auf das TYPISCHE Verhalten
innerhalb der Beziehung ausübt, inkl. eines Machtgefälles zwischen den
beteiligten Personen im Normalfall, das sich nur im unwahrscheinlichen
Ausnahmefall zu einem reziproken Austausch hin entwickelt, an dem beide
Personen in gleichem Maße interessiert sind.
Ich gebe zu, diese Struktur kann man nicht anmalen. Deswegen existiert sie für einen Materialisten selbstverständlich nicht.
Die Wirkungen auf die VERTEILUNG des Verhaltens sind allerdings eindeutig.
Wie unzureichend eine Psychologisierung dieser Strukturen ist, zeigt
die Tatsache, dass Morde zu 90% Beziehungstaten sind. Sie entstehen ,
weil die unbewusste Determination des Verhaltens die Menschen innerhalb
der Beziehung hilflos macht und sie Entlastung oft nur durch
katastrophale, meist UNGEWOLLTE Aktionen mit dramatischen Nebenwirkungen
erreichen können.
Jeder, der Beziehungserfahrung hat, wird, wenn er
über eine entsprechende Selbstwahrnehmung verfügt, die unbewusste
Determination dieses TYPISCHEN Verhaltens innerhalb einer Beziehung,
auch in weniger dramatischen Fällen bestätigen.
Auf
gesellschaftlich-struktureller Ebene demaskiert Michel Foucault die
Ideologie des rationalen Diskurses (reziproker Austausch).
Er
beschreibt in seiner Diskursanalytik der Macht den fundamentalen
Gewaltcharakter der Interpretationen von Worten und Zeichen. Es kommt
darauf an, wer spricht, nicht wovon er spricht.
Er
betont, „dass die Gesellschaft nicht von Diskursen strukturiert
werde, sondern von Machtrelationen, die nicht nach dem >großen
Modell der Sprache und der Zeichen< zu denken sind, sondern nach
der Logik > des Krieges und der Schlacht<.“
„Welche
Regeln steuern dieses Theater, dieses Spiel? >Die Regel<,
schreibt Foucault, >ist … die kalkulierte Lust am Gemetzel und
die Hoffnung auf Blut<. Alle Regeln haben ihre Wurzel in diesem
Krieg, nicht um ihn zu überwinden, sondern als Teil des universellen
Kampfes zwischen Herrschern und Beherrschten.“
(Sarasin
2005: 119)
Auf
der universitären Ebene ist z.B. das „Gefällt mir, Herr Professor“
natürlich auch als „gemeinter Sinn“ interpretativ interpretierbar. Aber
soziologisch realistischer ist die struktursoziologische Hypothese, dass
das Machtgefälle eine Struktur schafft, die dieses Verhalten
wahrscheinlicher macht, empirisch leicht überprüfbar (bei entsprechender
phänomenologischer Reduktion ideologischer Scheuklappen).
Vom
Missbrauch junger Menschen innerhalb dieser und ähnlicher Strukturen
ganz zu schweigen. Sie zu erklären durch psychopathologische
Verfehlungen einzelner Strukturprofiteure, kann man psychologisch
selbstverständlich versuchen. Soziologisch interessant (natürlich nur im
Rahmen der möglichen Struktur-Soziologie) ist die Wahrscheinlichkeit
eines solchen Verhaltens und damit entsprechender Verteilungen inkl. der
Varianz im Vergleich unterschiedlicher Strukturen. Macht natürlich nur
Sinn, wenn man von der Annahme ausgeht, es gibt objektive Strukturen,
relativ unabhängig von der subjektiven und intersubjektiven
Wahrnehmung.
Für Sie, Herr Professor Albrecht, offensichtlich kein Weg zur sozialen Realität.
Wissenschaftlich erklären kann man natürlich nur das, was man erkennt:
„Erkennen
beruht auf dem simul hoc der Gestaltwahrnehmung und ist großteils
vorbewußt angelegt, das Erklären auf dem propter hoc, das großteils als
bewußte Konstruktion der Erfahrung hinzuzufügen ist. Erkennt man diesen
Unterschied nicht, kann es geschehen, daß das noch nicht Erklärbare aus
der Welt des Erkennbaren verloren wird.“
(Riedl 2000: 341)
Womit wir wieder bei meiner „Soziologie des Unbewussten“ wären!