Warum eine
neue, wissenschaftliche Sicht auf soziale Prozesse und Strukturen notwendig ist!
(Re-Kommentar
auf Prof. Albrechts Antwort, siehe auch www.soziologie.de/blog)
„Die Frage,
auf welcher Ebene “das soziologisch Markante” angesiedelt ist, stellt sich bei
jedem Gegenstand von Neuem – und lässt sich bei keinem eindeutig beantworten.“
Der konstruktivistische Zeitgeist schlägt unbarmherzig
zu. Wer die Objektivität von sozialen
Strukturen und ihren Wirkungen erforschen will, nach Wahrheit und wissenschaftliches Denken in den Sozialwissenschaften zum
Maßstab seriöser Arbeit machen will,
muss aufpassen, nicht in eine geschlossene Anstalt eingewiesen zu werden.
Dass
der radikale Konstruktivismus philosophisch betrachtet eine Absurdität
darstellt, zeigt z.B. der neue ontologische Realismus von Markus Gabriel.
Aber
das spielt keine Rolle. „Die Soziologie als Dauerkrise“ lautet das fast stolz
verkündete neue Paradigma der Soziologie. Man glaubt es kaum, aber aus
einem Defizit wird das Wesen der
Soziologie nach heutigen Maßstäben. Entschuldigung, Wesentliches gibt ja nicht!
Wenn man ein Thema der Soziologie im alten Sinn auf den
Punkt bringen will, hat man das Gefühl, in der Auseinandersetzung mit anderen
Perspektive und Beiträgen(die natürlich
alle gleich relevant sind), wissenschaftlich korrekt formuliert, „einen Pudding
an die Wand nageln zu wollen“.
Hier: „Deshalb gelingt es ihr durch ihre innere
Pluralität im Gegensatz zu anderen Sozialwissenschaften, die Komplexität dieser
drei Ebenen erstaunlich produktiv im Blick zu halten.“
Die Steigerung von Komplexität, mein Lehrer Luhmann lässt
grüßen, ist das Ziel, selbstverständlich nicht die Erkenntnis von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen.
Dieser Anspruch ist wie gesagt zeitgeistgemäß psychiatrieverdächtig.
Radikal konstruktivistisch betrachtet Ihr Kollege Wagner
und unsere DGS die Soziologie als „erstaunlich abgestürzt“:
"Das (dass keine aktuellen Publikationen
zum aktuellen Stand der Forschung soziologischer Wissenschaftstheorie zu finden
sind, G.A.S.) ist kein Zufall, denn im Unterschied zu anderen
Einzelwissenschaften findet man in diesem Fach noch nicht einmal annähernd eine
facheinheitliche Konzeption von Gegenstand und Methode, die man referierend
vorstellen könnte. Was man findet, sind viele widersprüchliche Positionen
(Braun,2008), die überblicksartig vorzustellen müßig wäre. Man würde damit nur
einen Missstand dokumentieren, der offenbar für den Missstand des ganzen Fachs
verantwortlich ist. 'Es gibt in diesem Fach derzeit keinen Stand der
Erkenntnis', lautet die öffentlichkeitswirksame
(Hervorhebung .G. A. S.) Kritik anlässlich des Jubiläumskongresses, den die
Deutsche Gesellschaft für Soziologie zur Feier ihres 100-jährigen Bestehens
2010 in Frankfurt am Main ausgerichtet hatte ( Kaube 2010).
Als wollten sie dieses vernichtende Urteil ( Hervorhebung G.A.S.) bestätigen, ließen kurz darauf Fachvertreter in einer Befragung durchblicken, dass es tatsächlich keinen 'Konsens über das Grundwissen der Disziplin' gibt, was sich in erster Linie mit einer 'fehlenden gemeinsamen wissenschaftstheoretischen Vororientierung im Fach' erklären lässt (Braun & Ganser 2011:171)
Da die Soziologie offenbar wie ein Computer abgestürzt ist,..." (Wagner 2012:1)
Als wollten sie dieses vernichtende Urteil ( Hervorhebung G.A.S.) bestätigen, ließen kurz darauf Fachvertreter in einer Befragung durchblicken, dass es tatsächlich keinen 'Konsens über das Grundwissen der Disziplin' gibt, was sich in erster Linie mit einer 'fehlenden gemeinsamen wissenschaftstheoretischen Vororientierung im Fach' erklären lässt (Braun & Ganser 2011:171)
Da die Soziologie offenbar wie ein Computer abgestürzt ist,..." (Wagner 2012:1)
Natürlich sind beide Perspektiven gleichwertig, denn es handelt sich ja
um zwei verschiedene Beobachter.
Die
Soziologie ist besonders produktiv in der Produktion von Texten und von
Komplexität, sicher sinnvoll für die vorwissenschaftliche Phase einer
möglichen, wissenschaftlichen Soziologie. Zugegeben, die Soziologie ist noch
ein sehr junges Fach und hat das Recht auf Verirrungen.
Und wenn das
aus einer gut bezahlten und abgesicherten Position heraus passiert, ist da
karrieresoziologisch-interpretativ betrachtet, nichts einzuwenden.
Nur, wenn
damit ernsthafte gesellschaftliche Probleme gelöst werden sollen, ist eine
solche Selbststilisierung natürlich höchst bedenklich.
Jede
empirische Arbeit hängt wissenschaftstheoretisch von der Theorie und der
Methodologie ab, die Fragestellungen und Hypothesen liefern. Auch wenn das naiv implizit passiert, ändert
dies nichts an den systematischen Grundlagen. Ansonsten wird die ideologische Ausrichtung der Empirie und
ihrer Ergebnisse gleich mitgeliefert, entweder ideologisch gezielt oder ohne Selbstwahrnehmung der eigenen emotional-ideologischen
Komfortzone.
Auch die
Abgrenzung zum naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess gehört sicherlich
zur vorwissenschaftlichen Phase einer jeden Wissenschaft, die Alchemie
führte zur Chemie mit anfänglich großen Widerständen.
Es gilt immer
noch Piaget und „Das falsche Ideal einer suprawissenschaftlichen Erkenntnis.“
Der Mensch
und sein Geist sind auch Teile der Natur. Insofern ist zu vermuten, dass es auch in diesem Bereich Gesetze gibt
wie im übrigen Teil der Natur. Sichtbar
werden solche Gesetze z.B. im Bereich von Massenpsychologie/Medien/Propaganda
und Werbung oder z.B. auf der Interaktionsebene beim Thema „Gruppendynamik“.
Ich war
erstaunt als ein Kollege vom BDS ganz entsetzt war, als ich den Begriff
„Propaganda“ benutzte. Dieser Begriff sei doch heute nun wirklich
nicht mehr soziologisch brauchbar, meinte er. Bei so viel
Realitätsblindheit ist das Ansehen der Soziologie
nachvollziehbar äußerst gefährdet.
Der Absturz der Soziologie wird verursacht durch das beharrliche
Festhalten am „methodologischen Individualismus“, der Strukturen absurderweise
durch individuelles Handeln zu erklären versucht, das in Wahrheit umgekehrt TYPISCHERWEISE
durch die Struktur determiniert wird. Das
hat nicht einmal etwas mit Dialektik zu tun, sondern ist schlicht
zirkulär und erklärt entgegen ihren eigenen Ansprüchen gar nichts. Die interpretative
Soziologie verhindert eine klare soziologische Methodologie/Theorie und
Distanzierung von der Psychologie und der Psychologisierung sozialer Prozesse.
Die Steigerung von Komplexität und das muntere Produzieren von
soziologischen Texten auf der Basis des radikalen Konstruktivismus führt dazu,
dass hierarchisches Denken, den systematischen Unterschied zwischen Regel und
Ausnahme und der Sinn für das Wesen eines konkreten, sozialen Prozesses aus dem
Blickfeld geraten sind.
Soziale Prozesse werden TYPISCHERWEISE gesteuert durch Macht oder Gewalt
(Regel). In Ausnahmefällen kommt es zum reziproken Austausch, entweder zufällig
am Rand der Wahrscheinlichkeitsverteilung oder systematisch, wenn die
involvierten sozialen Gesetze (Macht/Gewalt)
angewandt werden zur gezielten Gestaltung sozialer Prozesse (s.
Brainstorming oder Gestaltung von Gruppen s. “The Difference“ v. Page).
Die mögliche, soziologische Erkenntnis von
Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen auf der Basis eines „methodologischen
Strukturalismus“ ist dringend notwendig, wenn die politisch-gesellschaftliche Verantwortung
für Strukturen wieder ernstgenommen werden soll.
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