Der Systemtheoretiker Peter Fuchs entlarvt das Unbewusste
als Schwachstelle der Luhmannschen Systemtheorie beim Vergleich mit der Psychoanalyse Freuds und Lacans. Beide Theorien
haben einen universalistischen Anspruch, keine kann die andere einfach
ersetzen.
Ihr Kontakt geht in folgende Richtung:
„Es ist ohne Frage die Systemtheorie, die mit ihrer
Beobachtungsdifferentialität den Kontakt ausarbeitet, aber dieser Vorteil wird
auf satte Weise ausgeglichen dadurch, daß sie es damit ist, die sich der Gefahr
aussetzt, als zu schwach beobachtet zu werden.“ (Fuchs 1998: 237)
Welche Möglichkeiten, voneinander zu lernen, ergeben sich
aus der Sicht des Systemtheoretikers?
„Die Stoßrichtung ergibt sich aus der Vorstellung, daß auch
die Beobachtung des Bewußtseins durch die dafür eingesetzten
Bewußtseinsexperten auf Kommunikationsprozesse umgeschrieben werden könne. Es
geht also um die weitere Radikalisierung des Projekts der Umschrift psychisch
gedeuteter Prozesse auf Sozialität.“ (Fuchs 1998: 237)
Die Psychoanalyse und die Entdeckung des Unbewussten könnten
100 Jahre nach Durkheim und Freud zu einem neuen Fundament einer
wissenschaftlichen Struktursoziologie werden, nach den letztlich gescheiterten
Versuchen, den methodologischen Individualismus und die darauf aufbauende
soziologische Theorie als DIE Methodologie und Theorie der Soziologie zu
etablieren.
Freud hat die „Aushebelung des Bewußtseins als
Zentralinstanz des Psychischen“ (Fuchs 1998: 239) vollzogen. Heute feiert das
Unbewusste, lange Zeit als wissenschaftlich unbegreifbar behandelt, in den
Neurowissenschaften als „das Implizite“ ein dramatisches Comeback.
Das könnte laut Peter Fuchs unabsehbare epistemologische Folgen haben, da die Idee
der Einheit des Bewußtseins und der unserer Vorstellung des Subjekts aufgegeben
werden muß.
Seine Horrorvision, m.E. der einzig realistische Weg für die
Soziologie:
„ Diese Einsicht (dass Bewusstsein und Gesellschaft polykontextural
und selbstblind sind, G.Sch), gesellschaftlich kommuniziert oder gar
akzeptiert, würde das, was dann noch an Kommunikation möglich ist, dramatisch
verändern. Alle kommunikativen Zurechnungsroutinen und –strategien würden
erodieren. Das Bewußtsein müßte seine Sozialität entdecken, die absolute
Dominanz der Verlautbarungswelt. Das entscheidende >Wesen< wäre die
Gesellschaft, die jedes einzelne Bewußtsein so durchflutet, daß es sich selbst
nicht anders als mit den so angelieferten sozialen Unterscheidungen entdecken
kann. Statt <Wesen> würde man sagen können: Subjekt. … UND
–HORRIBILE DICTU - : DIE WISSENSCHAFT
DER WISSENSCHAFTEN WÄRE DIE SOZIOLOGIE (Hervorh.G.Sch.), die Lehre von den
sozialen Unterscheidungen.“ (Fuchs 1998: 239/240)
Das Projekt Durkheims kann in eine neue Phase eintreten,
nicht als Schreckensvision, sondern als ein weiterer Schritt, Soziologie als
Wissenschaft weiterzuentwickeln.
Man könnte (und müsste) den überlieferten Dual Bewusstsein/Gesellschaft erweitern zu einem Tripod, einer dreifachen Syndosis aus Bewusstsein Gesellschaft UND Umwelt:
AntwortenLöschenDies wäre dann das Ergebnis und die Anerkennung eines seit 25 Jahren im englischen Sprachrum geführten Diskurses, der nun unter dem Titel "Verkörperung" zum ersten mal - bei stw - in deutsch erschienen ist:
Danach werden die beiden sprachgetragenen Sinnfelder Bewusstsein und Gesellschaft ergänzt durch das Sinnfeld "Umwelt". Ergebnis wäre eine sprachbasierte und überaus anschlussfähige und plausible Sinntriade als eine sinnvolle Gesamtgestalt mit den drei kommunizierbaren Inhalten 1) Bewusstsein als das WIE und WO, 2) Gesellschaft als das WORUM und WOZU und 3) Umwelt als das UMWILLEN oder das WESENLICHE.
Diese Anerkennung der sprachgetragenen Verkörperung der res cogitans IN der res extensa zu Kenntlichmachung einer res locans wäre überaus plausibel und damit auch vielfältig anschlussfähig.
Mit der „Aushebelung des Bewußtseins als Zentralinstanz des Psychischen“ bei Freud hat es seine dalektische Schwierigkeit. Es stimmt nur zur Hälfte. Neurosen werden bei Freud ja dadurch bewältigt, dass sie ins Bewusstsein, und zwar ins sprachliche Bewusstsein, gehoben werden. Oder anders gesagt: Wie sind so lange hilflosen Opfer unserer neurotischen Reaktionen auf die Spannungen zwischen persönlicher Erfahrung, Triebleben und dem (gesellschaftlichen) Über-Ich, wie wir uns nicht selbst über die jeweilige Genese aufgeklärt haben. Das ist die berühmte Sache mit den Kindheitserinnerungen, überhaupt mit der biographischen Aufarbeitung. Das hat der Psychoanalse als Therapieansatz immer den Vorwurf eingetragen, dass sie nur etwas sei für relativ eloquente Menschen. Nebenbei: War nicht zur Verbindung von Psychoanalyse und Gesellschaftswissenschaften Alfred Lorenzer wegweisend?
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LöschenMir ging es um den Hinweis auf die grundlegenden, fundamentalen Veränderungen, die Freud, historisch betrachtet, in Bezug auf das rationale Menschenbild im Anschluss an Schopenhauer und Nietzsche systematisch zum Thema gemacht.
LöschenDie Betonung lag auf "ZENTRALINSTANZ des Psychischen".
Aus therapeutischer Sicht werde ich sicher noch einen Beitrag schreiben zu der aktuellen Entwicklung der Psychoanalyse, die die tatsächliche therapeutische Beziehung (nicht Übertragung und Gegenübertragung) als verändernde Instanz jetzt stärker betont als jemals zuvor und damit sozusagen die "Soziologie des Unbewussten" in meinem Sinne auf der Ebene Therapeut-Patient thematisiert.
Lorenzers psychoanalytische Metatheorie hat mich soziologisch nie überzeugt und interessiert, weder theoretisch noch methodologisch.Genauso erging es mir mit anderen hermeneutisch und/oder interpretativ orientierten Handlungstheorien.
Da ich mittlerweile einen eigenen strukturtheoretischen Ansatz methodologisch (methodologischer Strukturalismus) und theoretisch (beginnend bei der „Soziologie des Unbewussten“)erarbeitet habe bzw. dabei bin zu erarbeiten, interessieren mich andere Ansätze nur noch in Bezug auf meinen Ansatz.
Mein philologisches Interesse ist entsprechend gering.
Aber ich würde mich freuen, wenn Sie thesenartig die Theorie Lorenzers in Bezug auf die psychologischen, soziologischen Dimensionen des Unbewussten kurz darstellen könnten.
Wenn Sie einverstanden sind, würde ich Ihren Beitrag unter dem Stichwort „Lorenzers psychoanalytische Metatheorie“ oder einem entsprechenden Vorschlag von Ihnen zusammen mit Ihrem Namen und einem Kommentar von mir in einem Blog posten.
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