Samstag, 8. März 2014

Die Systemtheorie und das Unbewusste



Der Systemtheoretiker Peter Fuchs entlarvt das Unbewusste als Schwachstelle der Luhmannschen Systemtheorie beim Vergleich mit der  Psychoanalyse Freuds und Lacans. Beide Theorien haben einen universalistischen Anspruch, keine kann die andere einfach ersetzen. 

Ihr Kontakt geht in folgende Richtung:
„Es ist ohne Frage die Systemtheorie, die mit ihrer Beobachtungsdifferentialität den Kontakt ausarbeitet, aber dieser Vorteil wird auf satte Weise ausgeglichen dadurch, daß sie es damit ist, die sich der Gefahr aussetzt, als zu schwach beobachtet zu werden.“ (Fuchs 1998: 237)
Welche Möglichkeiten, voneinander zu lernen, ergeben sich aus der Sicht des Systemtheoretikers?

„Die Stoßrichtung ergibt sich aus der Vorstellung, daß auch die Beobachtung des Bewußtseins durch die dafür eingesetzten Bewußtseinsexperten auf Kommunikationsprozesse umgeschrieben werden könne. Es geht also um die weitere Radikalisierung des Projekts der Umschrift psychisch gedeuteter Prozesse auf Sozialität.“ (Fuchs 1998: 237)

Die Psychoanalyse und die Entdeckung des Unbewussten könnten 100 Jahre nach Durkheim und Freud zu einem neuen Fundament einer wissenschaftlichen Struktursoziologie werden, nach den letztlich gescheiterten Versuchen, den methodologischen Individualismus und die darauf aufbauende soziologische Theorie als DIE Methodologie und Theorie der Soziologie zu etablieren.



Freud hat die „Aushebelung des Bewußtseins als Zentralinstanz des Psychischen“ (Fuchs 1998: 239) vollzogen. Heute feiert das Unbewusste, lange Zeit als wissenschaftlich unbegreifbar behandelt, in den Neurowissenschaften als „das Implizite“ ein dramatisches Comeback.

Das könnte laut Peter Fuchs unabsehbare  epistemologische Folgen haben, da die Idee der Einheit des Bewußtseins und der unserer Vorstellung des Subjekts aufgegeben werden muß.

Seine Horrorvision, m.E. der einzig realistische Weg für die Soziologie:

„ Diese Einsicht (dass Bewusstsein und Gesellschaft polykontextural und selbstblind sind, G.Sch), gesellschaftlich kommuniziert oder gar akzeptiert, würde das, was dann noch an Kommunikation möglich ist, dramatisch verändern. Alle kommunikativen Zurechnungsroutinen und –strategien würden erodieren. Das Bewußtsein müßte seine Sozialität entdecken, die absolute Dominanz der Verlautbarungswelt. Das entscheidende >Wesen< wäre die Gesellschaft, die jedes einzelne Bewußtsein so durchflutet, daß es sich selbst nicht anders als mit den so angelieferten sozialen Unterscheidungen entdecken kann. Statt <Wesen> würde man sagen können: Subjekt. … UND –HORRIBILE  DICTU - : DIE WISSENSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN WÄRE DIE SOZIOLOGIE (Hervorh.G.Sch.), die Lehre von den sozialen Unterscheidungen.“ (Fuchs 1998: 239/240)

Das Projekt Durkheims kann in eine neue Phase eintreten, nicht als Schreckensvision, sondern als ein weiterer Schritt, Soziologie als Wissenschaft weiterzuentwickeln.
 

5 Kommentare:

  1. Man könnte (und müsste) den überlieferten Dual Bewusstsein/Gesellschaft erweitern zu einem Tripod, einer dreifachen Syndosis aus Bewusstsein Gesellschaft UND Umwelt:

    Dies wäre dann das Ergebnis und die Anerkennung eines seit 25 Jahren im englischen Sprachrum geführten Diskurses, der nun unter dem Titel "Verkörperung" zum ersten mal - bei stw - in deutsch erschienen ist:

    Danach werden die beiden sprachgetragenen Sinnfelder Bewusstsein und Gesellschaft ergänzt durch das Sinnfeld "Umwelt". Ergebnis wäre eine sprachbasierte und überaus anschlussfähige und plausible Sinntriade als eine sinnvolle Gesamtgestalt mit den drei kommunizierbaren Inhalten 1) Bewusstsein als das WIE und WO, 2) Gesellschaft als das WORUM und WOZU und 3) Umwelt als das UMWILLEN oder das WESENLICHE.

    Diese Anerkennung der sprachgetragenen Verkörperung der res cogitans IN der res extensa zu Kenntlichmachung einer res locans wäre überaus plausibel und damit auch vielfältig anschlussfähig.

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  2. Mit der „Aushebelung des Bewußtseins als Zentralinstanz des Psychischen“ bei Freud hat es seine dalektische Schwierigkeit. Es stimmt nur zur Hälfte. Neurosen werden bei Freud ja dadurch bewältigt, dass sie ins Bewusstsein, und zwar ins sprachliche Bewusstsein, gehoben werden. Oder anders gesagt: Wie sind so lange hilflosen Opfer unserer neurotischen Reaktionen auf die Spannungen zwischen persönlicher Erfahrung, Triebleben und dem (gesellschaftlichen) Über-Ich, wie wir uns nicht selbst über die jeweilige Genese aufgeklärt haben. Das ist die berühmte Sache mit den Kindheitserinnerungen, überhaupt mit der biographischen Aufarbeitung. Das hat der Psychoanalse als Therapieansatz immer den Vorwurf eingetragen, dass sie nur etwas sei für relativ eloquente Menschen. Nebenbei: War nicht zur Verbindung von Psychoanalyse und Gesellschaftswissenschaften Alfred Lorenzer wegweisend?

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    2. Mir ging es um den Hinweis auf die grundlegenden, fundamentalen Veränderungen, die Freud, historisch betrachtet, in Bezug auf das rationale Menschenbild im Anschluss an Schopenhauer und Nietzsche systematisch zum Thema gemacht.

      Die Betonung lag auf "ZENTRALINSTANZ des Psychischen".

      Aus therapeutischer Sicht werde ich sicher noch einen Beitrag schreiben zu der aktuellen Entwicklung der Psychoanalyse, die die tatsächliche therapeutische Beziehung (nicht Übertragung und Gegenübertragung) als verändernde Instanz jetzt stärker betont als jemals zuvor und damit sozusagen die "Soziologie des Unbewussten" in meinem Sinne auf der Ebene Therapeut-Patient thematisiert.

      Lorenzers psychoanalytische Metatheorie hat mich soziologisch nie überzeugt und interessiert, weder theoretisch noch methodologisch.Genauso erging es mir mit anderen hermeneutisch und/oder interpretativ orientierten Handlungstheorien.

      Da ich mittlerweile einen eigenen strukturtheoretischen Ansatz methodologisch (methodologischer Strukturalismus) und theoretisch (beginnend bei der „Soziologie des Unbewussten“)erarbeitet habe bzw. dabei bin zu erarbeiten, interessieren mich andere Ansätze nur noch in Bezug auf meinen Ansatz.

      Mein philologisches Interesse ist entsprechend gering.

      Aber ich würde mich freuen, wenn Sie thesenartig die Theorie Lorenzers in Bezug auf die psychologischen, soziologischen Dimensionen des Unbewussten kurz darstellen könnten.

      Wenn Sie einverstanden sind, würde ich Ihren Beitrag unter dem Stichwort „Lorenzers psychoanalytische Metatheorie“ oder einem entsprechenden Vorschlag von Ihnen zusammen mit Ihrem Namen und einem Kommentar von mir in einem Blog posten.

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